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Interview in «El Independiente» , 1990

Für die Madrider Zeitung «El Independiente» führte Anselmo Sanjuan im Sommer 1990 das folgende - leicht gekürzte - Interview mit Karlheinz Deschner.

El Independiente: Herr Deschner! Nach Wolfgang Stegmüller und anderen namhaften Gelehrten sind Sie der sowohl schärfste wie kenntnisreichste Kirchenkritiker des 20. Jahrhunderts. Wie fühlt sich der kompromißlose Gegner der Kirche angesichts der Tatsache, daß diese wieder zu erstarken scheint und neue Stellungen im Osten gewinnt?

Deschner: Danke, ausgezeichnet. Der orthodoxe Osten freilich mag sich weniger gut fühlen. Die Notwendigkeit meiner Arbeit aber wird durch die Entwicklung bestätigt. Betonte ich doch immer wieder die stetig wachsende politische Macht der christlichen Kirchen, besonders der Papstkirche. Betonte ich doch immer wieder, daß diese Kirchen im 20. Jahrhundert weit stärker als im 19. sind. Daß sie auch künftig noch ganze Weltreiche überdauern werden: kein Elefant verfault an einem Tag! Nicht mich führt also die Entwicklung ad absurdum, sondern meine sozialistischen, marxistischen, kommunistischen Kritiker, die mir einst so gern etwas hämischjovial die Schulter klopften: «Ja, alles gut und schön, Ihre Kirchen-, Ihre Christentumskritik. Aber zweihundert Jahre nach der historischen Aufklärung» (als wäre kritische Aufklärung auf ein Jahrhundert beschränkt!) «doch reichlich überholt.» Gingen ja, so glaubte, so prophezeite man, all die diversen Christentümer und das Papsttum in Kürze im großen sozialistisch-kommunistischen Endsieg unter. Nun ging aber der Kommunismus unter. Oder richtiger das, was sich dafür ausgab. Und noch manch anderes könnte untergehen.

EI lndependiente: Im Osten? Die russische Orthodoxie?

Deschner: Zum Beispiel. Sie zittert schon. Und als Herr Gorbatschow den Papst besuchte, glänzte der ihn begleitende Patriarch durch Abwesenheit. Kein Wunder.

El Independiente: Inwiefern? Könnten Sie das erklären?

Deschner: Gewiß. Eine lange Geschichte freilich. Ein tausendjähriger Kampf. Seit man Rußland im 10. Jahrhundert christianisierte, seit es griechisch-orthodox geworden war, versucht dort auch das Papsttum Fuß zu fassen: durch diplomatische, durch kriegerische Vorstöße, durch Kreuzzüge, deutsche Ordensritter, schwedische Heere, durch Lockungen, Drohungen, ungeheuren Betrug. Durch einen falschen Zaren namens Dimitri eine mit Hilfe der Päpste Klemens VIII. und Paul V inszenierte

EI Independiente: Bitte, wann inszenierte ?

Deschner: 1604 und 1605 inszenierte weltgeschichtliche Schmierenkomödie fast ohnegleichen. Und durch einen echten Zaren, Paul I., um die Wende zum 19. Jahrhundert. Doch beide Zaren, der falsche und der echte, wurden liquidiert, und Roms größte Sehnsucht blieb ungestillt. Im Ersten Weltkrieg versuchte das Papsttum die Unterjochung der russischen Orthodoxie mit Hilfe des Hauses Habsburg und mit dem wilhelminischen Deutschland, die beide Expansionsgelüste im Osten hatten. Und im Zweiten Weltkrieg versuchte das Papsttum dasselbe mit Hilfe Hitlers. Und danach mit Hilfe der USA. Ich schrieb darüber «Ein Jahrhundert Heilsgeschichte» , ein zweibändiges Werk.

EI Independiente: Doch warum, Herr Deschner, zittert der Osten, wenn er befreit wird?

Deschner: Weil die Missionen Roms, Herr Sanjuän, das Zittern lehren. Weil sie alle Andersgläubigen bedrohen. Ihre Freiheit bedrohen. Ihr Leben. Im Osten erinnert man sich noch an die Zwangskatholisierungen zwischen den beiden Weltkriegen, als Polen, nach mehr als hundertjähriger Teilung, durch den Versailler Vertrag wiedererstanden war. Von Weißrußland, von der Ukraine aus, wo sieben bis acht Millionen Weißrussen und Ukrainer lebten, rund die Hälfte davon russisch-orthodox, operierte Papst Benedikt XV gegen die «schismatische» slawische Welt. Und während die vordem russischen Gebiete unablässig vatikanische Visitatoren bereisten, begannen da ausgedehnte Pogrome. Um 1930 steckten etwa 200 000 Ukrainer im Gefängnis, darunter mehr als tausend orthodoxe Priester. Die meisten ihrer Kirchen wurden von den polnischen Katholiken geplündert, als Pferdeställe, Latrinen benutzt, ganze Dörfer durch Massaker entvölkert. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, im Juli 1938, waren von 300 orthodoxen Kirchen 100 in römisch-katholische umgewandelt, über 70 niedergebrannt oder sonstwie zerstört, etwa ebensoviele geschlossen. Im August 1938 hatte man schon 138 orthodoxe Kirchen eingeäschert. Schlimmer, erheblich schlimmer, gewiß, waren nur noch die Kroatengreuel.

El Independiente: Sie meinen den katholischen Kreuzzug unter Ante Pavelic?

Deschner: Ja - als man wenige Jahre später in Jugoslawien 299 serbisch-orthodoxe Kirchen ruiniert, 240.000 orthodoxe Serben zwangsbekehrt und etwa eine Dreiviertelmillion dieser unglücklichen Menschen abgeschlachtet hat, Männer, Frauen, Kinder, Greise, oft scheußlicher als je im Zeitalter der Inquisition - in der Mitte unseres Jahrhunderts, mit aktiver Beteiligung des Klerus, besonders der Jesuiten, mehr noch der Franziskaner, die Mordkommandos anführten und zeitweise das größte jugoslawische Konzentrationslager befehligten, wo sie vierzigtausend Menschen köpfen ließen.

EI Independiente: Sie haben das als erster Deutscher in verschiedenen Büchern dokumentiert. Doch zurück zum Kommunismus, der nun ganz geschlagen das Feld der Geschichte verläßt. Viele kritische Geister betrachteten ihn als eine Art Ersatzreligion. Weckt seine Niederlage nicht zwangsläufig die Sehnsucht der Massen nach absoluten Wahrheiten, eine Sehnsucht, die die christlichen Kirchen für sich nutzen können?

Deschner: Vermutlich. Aber statt der absoluten Wahrheiten werden sie nichts bekommen als absolute Lügen.

El Independiente: Der große Voltaire unterzeichnete seine Briefe mit der Aufforderung «ecrasez 1'infàme» . Sind Sie so kompromißlos wie er?

Deschner: Wir kennen heute, dank einer zweihundertjährigen Forschung, die Kirchengeschichte viel genauer, als Voltaire sie kennen konnte. Wir kennen außerdem zwei Jahrhunderte Kirchengeschichte mehr, besonders die überaus blutige Kirchengeschichte gerade des 20. Jahrhunderts. Wir haben also allen Grund, kompromißloser zu sein.

El Independiente: Halten Sie eine Gesundung der Kirche durch neue Ideen und Reformpäpste für unmöglich?

Deschner: Ja, allerdings. Das halte ich angesichts dieser zweitausendjährigen Geschichte für gänzlich ausgeschlossen. Doch selbst wenn - ein utopischer Gedanke - die christlichen Kirchen sich im nächsten Jahrtausend zu ethisch intakten Gemeinschaften entwickelten, so bliebe doch ihre Dogmatik, ihre Glaubensgrundlage, ein einziges Gespinst aus Lug und Trug.

EI Independiente: Warum?

Deschner: Weil dieser Glaube historisch haltlos ist. Weil er in keinerlei legitimer Relation steht zu der Lehre Jesu, die gerade die historisch-kritische christliche Theologie in einer über zweihundertjährigen, mit höchster Akribie betriebenen Forschung aus dem großen Dunkel jener Zeit herausgearbeitet hat - die Historizität des Galiläers einmal vorausgesetzt. Ganz beiseite, daß es im Christentum nie, zu keiner Zeit, eine Orthodoxie, eine einzige Lehre gegeben hätte, da schon in der Urgemeinde in Jerusalem drei verschiedene Arten von «Christentümern» bestanden. Ganz beiseite, daß es im Christentum nichts, absolut nichts gibt, vom periphersten Brauch bis zum zentralsten Dogma, das nicht schon in vorchristlicher Zeit nachgewiesen worden wäre - so evident, daß bereits der größte aller Kirchenlehrer, Augustinus, sich zu dem Satz verstieg: «Das, was man jetzt als christliche Religion bezeichnet, bestand bereits bei den Alten und fehlte nie seit Anfang des Menschengeschlechtes, bis Christus im Fleische erschien, von wo an die wahre Religion, die schon vorhanden war, anfing, die christliche genannt zu werden.»

El Independiente: Wo steht das?

Deschner: In «De doctrina christiana» . Doch andere prominente altchristliche Theologen sprejchen sich ähnlich aus.

El Independiente: In «Opus Diaboli» vertreten Sie die Meinung, daß die Kriegslust der Europäer auf ihre jahrhundertlange kirchliche Erziehung zurückzuführen, daß sie zumindest dadurch stark gefördert worden ist. Erwarten Sie nicht zuviel von der Erziehung? Wäre diese so bestimmend, hätte nicht die Aufklärung, die so viele bedeutende Geister für sich gewann, auf der ganzen Linie gegen die Kirche siegen müssen?

Deschner: Die Aufklärung beeinflußte nur einen winzigen Teil der Menschheit, das Christentum beeinflußte die Massen. Die Aufklärung prägte die besten Köpfe, das Christentum kollaborierte mit den meisten exorbitanten Geschichtsverbrechern, mit dem hl. Konstantin «dem Großen» , mit Theodosius «dem Großen» , mit den frühbyzantinischen Herrschern, den Merowingern, den Pipiniden, dem hl. Karl «dem Großen» , dem hl. Heinrich 11. und mit all diesen heiligen oder fast heiligen Halsabschneidern bis herauf zu Hitler und Stalin, mit dem die russisch-orthodoxe Kirche gerade während des Zweiten Weltkriegs eng kooperierte, ja, der sogar, kaum bekannt, für sein polnisches Kontingent römischkatholische Feldpfaffen hatte! Und all diesen welthistorischen Starbanditen lieferte die Kirche der Nächsten-, der Feindesliebe, der Frohen Botschaft, die Massen ans Messer. Und so wird es, dank der Militärseelsorge, weiterhin sein. Also: Kirchen und Staaten gängelten die Massen die Aufklärung prägte nur eine kleine intellektuelle Schicht, die zwar geistig führte und führt, doch politisch wenig oder nichts zu sagen hatte und hat.

El Independiente: Ihre immer wieder aufgelegte Sexualgeschichte des Christentums «Das Kreuz mit der Kirche» scheint selbst in der Kirche Schule zu machen. Fortschrittliche Theologen wie Eugen Drewermann und Uta Ranke-Heinemann haben sich zu Wort gemeldet und harte Kritik am Papsttum geübt. Signalisiert dies eine radikale Wende der christlichen Intellektuellen auf dem Gebiet der Sexualmoral?

Deschner: Uta-Ranke-Heinemann, Eugen Drewermann, Fritz Leist, Georg Denzler, Hubertus Mynarek sind Ausnahmen. Die Sexuallehren sämtlicher Päpste dieses Jahrhunderts aber sind stockkonservativ, und ich hoffe sehr, dies bleibt so. Wer katholisch sein will, soll seinen Katholizismus auch ausfressen. Im übrigen: die fortschrittlichen Theologen sind die schlimmsten. Es gibt sie seit Paulus. Sie betreiben die Adaption des Christentums an den jeweiligen Zeitgeist. Wenn aber ein Theologe wirklich fortschreitet, ist er kein Theologe mehr!

El Independiente: Glauben Sie, daß die offizielle Sexuallehre der Kirche von der Masse der Christen ernst genommen wird? Richtet sich überhaupt die Mehrheit des katholischen Klerus danach?

Deschner. Die Masse der Laien mag sich zu einem Teil darum kümmern, mehr oder weniger; je ungebildeter, uninformierter jedenfalls, desto gläubiger, desto höriger. Sicher leiden ungezählte Millionen unter der sexuellen Repression - und unter einem «schlechten Gewissen» . Tausende mich erreichende Briefe drücken dies aus. Die Masse des Klerus aber hat die von ihm verkündete Sexualmoral nie befolgt, und die Oberen dulden das, solange nichts nach außen dringt, nicht schwangere Bäuche sichtbar, Kinder hörbar werden. Denn nur was schreit, höhnt Oskar Panizza, ist eine Sünde.

El Independiente: Um noch einmal auf die Kirche und ihren Einfluß zurückzukommen. Der jetzige Papst wird eine festgefügte Institution hinterlassen. In welche Richtung könnte der Heilige Geist bei der nächsten Papstwahl wehen?

Deschner: Das interessiert mich so wenig wie mich der Heilige Geist interessiert oder die zwei Federn und das Ei, die man von ihm noch in der Neuzeit im Dom von Mainz verehrt hat. Auf solchem Riesenhaufen von Verbrechen und Betrug ist ganz gleich, wer obenauf sitzt und regiert. Auch der Beste könnte nichts anderes daraus machen: semper idem.

 

Karlheinz Deschner

Interview

 


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