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junge Welt, 27.05.2004


Kein Komplize
Zum 80. Geburtstag des grossen Kirchenkritikers und Aufklaerers Karlheinz Deschner

Einer der bedeutendsten Kenner des Christentums und seiner jeweiligen Institutionen ist zugleich ihr schaerfster Kritiker. Ohne Karlheinz Deschners Anklageschriften wider den Klerus gaebe es vermutlich entscheidend mehr Desinteressierte, die sich ihren Mitgliedsbeitrag fuer die Kirchen aus Faulheit weiterhin ueber die Steuer abziehen liessen, weil es halt so ist und schon immer so war. Gerhard Henschel nannte Deschner vor etwa zehn Jahren in konkret den "einzige(n) Sektenbeauftragte(n) der Welt, der keiner Sekte angehoert".

Deschner, geboren am 23. Mai 1924 in Bamberg, wurde in christlichen Schulen unterrichtet, meldete sich als Kriegsfreiwilliger und studierte nach Kriegsende erst Agrarwissenschaften und dann diverse geisteswissenschaftliche Faecher. Er begann in den 50er Jahren sein schriftstellerisches Wirken mit Romanen und der Auseinandersetzung mit gemeinhin gefeierten Autoren hauptsaechlich der Gruppe 47, denen er ihre Maengel aufzeigte. Schon seine Literaturkritik brachte ihm Ablehnung ein: "Entweder ist der ›Dr. phil.‹ nicht normal oder so ueberheblich, dass es besser waere, er wuerde sich auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen", schrieb ein empoerter Leser.

Anbiederung ans Publikum war nie Deschners Sache, und dass sein Geisteszustand hervorragend ist, bewies er in seiner fast 50jaehrigen Karriere als Christenkritiker, in der er nahezu jedes Jahr ein neues kirchen- und religionskritisches Buch schrieb. Von der "Kriminalgeschichte des Christentums", die auf zehn Baende angelegt ist und bei Rowohlt herauskommt, ist im Fruehjahr der achte Teil ueber das 15./16. Jahrhundert erschienen. Deschner ist fuer sein inzwischen ueber fuenfzig Buecher umfassendes Werk hochdekoriert: Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) verlieh ihm 2001 den Erwin-Fischer-Preis, 1993 bekam er den Alternativen Buechnerpreis und 1988 den Arno-Schmidt-Preis. Wenn Auszeichnungen auch nicht unbedingt ein Merkmal fuer Qualitaet sind, Deschner hat das Preisgeld sicherlich sinnvoll verwendet.

Fuer eine Umfrage "Was halten Sie vom Christentum?" schrieb Deschner 1957 um Beteiligung bittend u.a. an Theodor Heuss, der ihm ueber seinen persoenlichen Referenten mitteilen liess: "Was sich volkspaedagogisch zu geben scheint, ist nach den Empfindungen des Herrn Bundespraesidenten ein Seminar fuer Taktverletzung." Der Bundespraesident laesst vergleichsweise zurueckhaltend und hoeflich formulieren, was andere offensiver angehen: "Sie muessen doch vom Teufel durch und durch verarbeitet worden sein", beschimpft ihn beispielsweise ein Gottesglaeubiger und vergleicht ihn mit Alfred Rosenberg.

Deschner, der sich nicht als Atheist bezeichnet, sondern als Agnostiker, hat sich unbeliebt gemacht, indem er angriff, was den Deutschen heilig ist: ihre Staatsreligion. Mit Aphorismen wie "Ich denke, also bin ich – kein Christ" hat er sich den Weg in die Beliebtheit verbaut und den in die Bekanntheit geebnet. Seit 50 Jahren zaehlt Deschner als Historiker die Verbrechen des Christentums auf, kritisiert dessen Moral wie die kirchlichen Versuche zur Erbeutung weltlicher Macht und nutzt die Tagespolitik des Klerus, um auf historische Kontinuitaeten hinzuweisen. Dabei geht er trotz der Fuelle an Material, die er sammelt – auf 600 Seiten des vierten Teils der "Kriminalgeschichte" beispielsweise kommen ueber 100 Seiten Quellen und Literatur – nicht positivistisch vor, sondern offensiv. "Wer Weltgeschichte nicht als Kriminalgeschichte schreibt, ist ihr Komplize" ist einer seiner meistzitierten Saetze. Dieser Ausspruch erinnert an einen anderen grossen Aufklaerer, naemlich Max Horkheimer. Horkheimer aeusserte in einem Gespraech, das Pollock aufzeichnete: "Wenn man geschichtliche Dinge ›wissenschaftlich‹ darstellt und etwa ueber Caligulas und Hitlers Schandtaten ohne Empoerung, ›distanziert‹ spricht, dann verfaelscht man die Geschichte."

Deschner betreibt Aufklaerung mit didaktischem Geschick. Seine engagierte, fuer die Befreiung des Menschen aus der Herrschaft des Menschen Partei ergreifende Schreibweise bringt ihm von den Kirchen den hilflosen Vorwurf mangelnder Objektivitaet ein. Ausgerechnet Christen, die fordern, ihre Dogmen muessen geglaubt werden, da sie nicht wissenschaftlich ueberpruefbar sind, verlangen von Deschner, den Standpunkt der Inhumanitaet "objektiv" mit einzubeziehen, um diskursfaehig zu sein. Deschners Verdienst ist es nicht nur, die klerikalen Verbrechen aufgedeckt und zusammengelegt zu haben, sondern darzustellen, dass diese Verbrechen das Wesen der Kirche sind, und nicht etwa der Caritas-Zivi, der eine alte Frau fuettert (und seinen Niedriglohn dafuer ueberwiegend aus staatlichen Mitteln erhaelt).

Egal, ab welchem Lebensjahr von einem biblischen Alter gesprochen wird, Deschner hat dies mit seinen 80 Jahren noch nicht erreicht und wird es nicht erreichen. Denn die Bibel steht, das hat er gezeigt, fuer Faelschung, Verdrehung und freie Erfindungen. Das ist kein guter Ausgangspunkt fuer ein Sprichwort, das man einem Aufrechten zugedenkt. Deschner wird immer in einem aufgeklaerten Alter sein.

Christoph Horst

 


 

 

 

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