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Leseprobe / Vorbemerkung des Autors

 

Sa sacree Majeste le Hazard oder wie ein Sammelwerk zustande kommt

Dieses Buch ist, wie so vieles im Leben, auch vom Zufall geprägt - Sa sacree Majeste le Hazard; bei seiner Entstehung und schon lange, bevor es entstand.

Gewiß nicht zufällig wollte ich einst meine erste Übersetzerin in der Nähe Belgrads besuchen, Kacusa Avakumovic-Maletin (Jugoslawen kennen den Namen ihres Vaters, des letzten Ministerpräsidenten unter dem letzten jugoslawischen König). Und gewiß nicht zufällig fehlte mir gerade das Reisegeld. Aber zufällig kam da eine Einladung nach Belgrad, zufällig war Frau Maletin eben verreist, und so hatte ich, zufällig, Zeit, mich nur dem Kongreß zu widmen, einem Schriftstellerkongreß. Tagelang referierte man über das Thema: «Woran ich glaube»; anregender sogar als erwartet. Und da ich schon einmal deutschsprachigen Autoren, Hermann Kesten, Arno Schmidt, Heinrich Böll, Max Brod u. a., die Gretchenfrage gestellt: «Was halten Sie vom Christentum?» (1957), beschloß ich noch in Belgrad, irgendwann eine zweite Enquete zu edieren, die aber thematisch über die erste hinausgehen, auch nicht nur Schriftsteller, nicht nur Deutschsprachige, einbeziehen sollte, sondern Menschen aus vielen Berufen und Ländern. Etwa ein Vierteljahrhundert danach, im letzten Jahr, telefonierte ich mit dem Gütersloher Verlagshaus, erwähnte einmal, zufällig, Belgrad, das damalige Thema - und dies ist nun das Buch dazu.

Der Zufall spielte auch weiter seine Rolle - ja, Schlimmeres. Mancher starb, als ich im Begriff war ihn einzuladen, Thomas Bernhard, beklagenswerterweise, Konrad Lorenz. Mancher war bereits zu krank, Lord Laurence Olivier, Hoimar von Ditfurth. Mancher war seit Jahren schon arbeitsunfähig. Mancher starb nach der Zusage. Den Bankier Alfred Herrhausen zerriß eine Bombe - lassen Sie es uns versuchen, schrieb er noch freundlich. Mancher blieb unerreichbar für mich, wie der Bildhauer Hrdlicka, schade! Sehr viele sagten ab. Wohl die Mehrzahl der befragten Autoren reagierte erst gar nicht - meine eigene postalische Gepflogenheit (und zwar auch dort, wo sonst Autoren zu antworten pflegen; oder wer schriebe nicht, wird ihm die Übersetzung gleich dreier Bücher angeboten - und eben jetzt, ein halbes Jahr später, fragt man aus Polen nach: We know for a fact that some letters were intentionally lost or destroyed by the Polish postal service in past month ...).

Dagegen dankten alle Politiker, selbst Staatschefs, meist persönlich sogar. Und prompt. (Auch «Leser» schicken mir, nicht so selten, kopierte Minister-, Präsidentenschreiben, aus dem In-, dem Ausland, immer wieder auch eigenhändig unterzeichnet. Donnerlittchen, denkt man, bei diesem Job, bei soviel Hektik noch soviel Zeit. Nicht einer scheint da ignoriert zu werden ...). Aber ist's Zufall denn, daß alle Politiker abgesagt, daß alle sich verweigert haben, Aktivisten und Ruheständler, ein rundes Dutzend? Staatsdiener, die ja tagtäglich und ex professo etwas bekennen, in aller Öffentlichkeit, vor der Nation, der Welt, die unentwegt doch, bis sie ein dummer Zufall, eine Wahl, ein Skandal, ein Parteifreund beiseitefegt, etwas vertreten, verteidigen, verantworten, die sich verwahren, die entlasten und belasten, die für etwas plädieren, für etwas streiten, die etwas rechtfertigen, auf etwas bestehen, die aufrufen, beteuern, beehrenworten hochundheilig (in Schleswig-Holstein, in Ost-Berlin, dem ganzen Volk in die Mattscheibe; wird doch soeben ein komplettes Parlament, ein Wendehals-Parlament, nicht gefilzt, nur weil es so wendig ist, wie der Beruf es verlangt, die «politische Kultur», ihr «Stil») - ja, schon merk-, schon denkwürdig, daß all die bekannten Bekenner, die uns dauernd etwas glauben machen (möchten), dann selber lieber schweigen (müssen) und nicht sagen wollen (können), was sie wirklich denken, wenn sie denken. (Na, siehe S. 235.)

Und doch, kein völliges Briller par absence. Petra Kelly ist präsent, durch puren Zufall zwar und freilich, scheint mir, so atypisch für das besagte Metier wie Vaclav Havel, der zudem sein Plazet gab, bevor er zu Amt kam und Würde (nein: sie hatte er bereits, als das Amt kam - mal umgekehrt, ausnahmsweise).

Dachte ich, dachte ich ... Denn als das Vorwort bereits gesetzt war, verweigerte der Staatspräsident Havel in diesem Jahr die Erlaubnis zum Abdruck eines Beitrages, die der Schriftsteller Havel im letzten Jahr schon gegeben. Sehr erfreut und geehrt hatte der Autor mir für die Einladung gedankt und eine Wiedergabe aus einem Briefband genehmigt. Doch dem Staatspräsidenten mißfiel nun die Zusammenstellung seiner Texte.

Veranlaßte ihn aber nicht etwas ganz anderes dazu? Erschien dem Politiker jetzt nicht einfach inopportun, was der Schriftsteller noch freimütig erklärte? «Ich bin bestimmt kein richtiger Christ und Katholik (wie so viele meiner guten Bekannten), aus vielen verschiedenen Gründen, zum Beispiel deshalb, weil ich diesen meinen Gott nicht ehre und einfach nicht begreife, warum ich ihn ehren sollte.» So begann der hier vorgesehene Havel-Text. Und er endete: «Die >Stimme des Seins< kommt nicht von >anderswoher<, (d. h. aus irgendwelchen transzendentalen Himmeln), sondern ausschließlich >von hier< ...»

Kaum tschechoslowakischer Staatspräsident geworden, rief der Autor solcher Geständnisse den Papst in sein (von Rom so lange als «Hussitenrepublik» beschimpftes) Land, jubelte bei Ankunft der «Heiligkeit» in effektvoller rhetorischer Steigerung immer wieder über «ein Wunder», wünschte, genau wie der Herr aus Rom, das Herz Europas müsse «von jenen Politikern regiert werden, die sich christlichen Werten verpflichtet fühlen», feierte, sichtlich bewegt, «die Heiligsprechung der Agnes von Böhmen» und hoffte, das Oberhaupt der katholischen Kirche werde bei der «heiligen» Messe «unseren Heiligen für die Fürbitte bei dem danken, der mit seinen Händen den geheimnisvollen Lauf aller Dinge lenkt». Kurz, so schrieb die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» in ihrem Leitartikel vom 23. April 1990: «Die Übereinstimmung zwischen dem Präsidenten und dem Papst ging so weit, daß der Regierungssprecher von einem >Bekenntnis< Havels gegenüber Johannes Paul II. sprach, das manche schon als >Beichte< des bisher als Katholik nicht hervorgetretenen Präsidenten ansahen.»

Sapienti sat.

Noch ein zweiter Berufsstand, an Einfluß der erste, da er schon lange der Staatskunst die Marschrichtung souffliert, erwies sich als sehr abstinent, die Creme de la creme der Industrie. Zwar alle, soweit gebeten, antworteten wieder und oft persönlich, doch auch alle sagten wieder ab, quer durch den Kontinent - nur Edzard Reuter ausgenommen. (Jens v. Bandemer lebt längst auf einem Bauernhof in Franken. Und Jan Philipp Reemtsma hat selbst nie dazugehört.)

Auch sonst, gewiß, zeigte mancher «keine Neigung zu öffentlichen Konfessionen», was man akzeptieren muß, verstehen kann. Eine Deutsch-Amerikanerin hätte nur in einem Satz oder einem ganzen Buch zu antworten vermocht. Auch aus London schrieb man: «I think it would take me 200 pages to work out exactly what it is that I >believe<, and even I don't think I would get it right. I need myself another ten years to refine my thoughts ...»; aber so lange wollte ich doch nicht warten.

Im übrigen scheute ich nichts.

Ich bat einen Kardinal, der mir aus «einem der größten Bistümer der Weltkirche» auch «herzlich danken» ließ - die Leute haben, ich gebe es zu, eben Lebensart -, während ein bekannter evangelischer Bischof zwar erst in Berlin mit mir diskutierte, hier aber gleichfalls schwieg. Ich wandte mich an einen Weltraumpionier, der jedoch zu alt, ich wandte mich an einen Tiefseeforscher, der indes auf Tauchstation gegangen, ich wandte mich an einen Gipfelstürmer, der aber just über den Wolken verschwunden war. Unterwegs, es sei so gesagt, war auch ein Chefspion. Zwar fand er, danke, es freut mich, noch Zeit, mir zu schreiben, im übrigen aber wegen der «komplizierten Ereignisse» in Mitteleuropa keine «gedankliche Konzentration auf das Thema», ach, wie begreiflich wieder. Doch bitte ich auch die Leser um Verständnis. Und vor allem, bitte, sage kein Rezensent: ich hätte aber gern wenigstens noch den oder die hier gesehn ... Ich auch! Oder: den und die da lieber nicht. Nun, Ansichtssache. (Auch schweigt dazu des Sängers Höflichkeit.)

Trotz aller Schwierigkeiten aber, Zufälle, Schicksalsschläge, liegen sechsundvierzig Beiträge vor, ein bewußt facettenreiches, ja, heterogenes Confiteor, sehr divergierende Äußerungen zu einer zwar nicht originellen, doch fundamentalen Frage, die heute die Menschen vielleicht mehr bewegt als jede andere. Männer und (zu wenig, nicht meine Schuld) Frauen vieler Berufe - und zweier Generationen - schreiben hier, Persönlichkeiten aus der Welt der Musik, der Literatur, des Theaters, des Films, der bildenden Kunst, aus dem Bereich des Tier-, des Umweltschutzes, sogar der Politik also, der Wirtschaft, man wird Journalisten und Verleger vertreten finden, vor allem aber Gelehrte - Philosophen, Philologen, Soziologen, Politologen, Biologen, Sexologen, Psychologen, Pädagogen, Mediziner, Physiker, Juristen, Religionswissenschaftler sowie evangelische, katholische und aus der Kirche ausgetretene Theologen - Persönlichkeiten vor allem der deutschen Bundesrepublik, aber aus Österreich auch, der Schweiz, aus Großbritannien, Luxembourg, Frankreich, Spanien, Jugoslawien, Israel, USA und Australien. Aus der DDR gab es nur Absagen, darunter, leider, die Manfred von Ardennes, der, gleich manchem, zu spät erst Zeit gefunden hätte, und eine (nicht eingehaltene) Zusage aus dem politischen Sektor.

Die Stellungnahmen reichen von rechts bis links, von konfessionell gebundenen bis zu atheistischen Antworten, sie reichen oft weit über den religiösen Glauben hinaus und, nicht selten, tief in Skepsis, in (sogenannten) Unglauben hinein - manche sehr sachlich, manche passioniert, manche bissig, manche etwas pastoral, moderato und con molto brio, kurz, fast alle Register werden gezogen: lebendig oft, anregend, und sicher auch aufregend.

Ich habe vielfach zu danken. Besonders herzlich allen, die dieser Einladung gefolgt sind; um so mehr ihnen zu danken, als ich noch kaum danken konnte. Mein Dank gilt dem Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, meinem Lektor Raul Niemann, der das Projekt von Anfang an sehr engagiert begleitet hat, und Frau Christel Gehrmann, seiner Sekretärin, die hierbei eine Hauptlast trug, da ihr allein fast die ganze Korrespondenz oblag - kein Schatten falle auf die deutsche Post.

Karlheinz Deschner

 

Woran ich glaube

Leseprobe

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