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Leseprobe / Vorwort des Herausgebers

Vor einem Jahr, im Sommer 1956, habe ich im Einvernehmen mit dem Paul List-Verlag, München, zwanzig deutsche Schriftsteller divergierender Weltanschauungen um einen kurzen Beitrag für ein Sammelbändchen mit dem Titel Was halten Sie vom Christentum? gebeten. Das Resultat meiner Befragung war verblüffend. Ein Autor sagte zu. Weit davon entfernt zu resignieren, beharrte ich nun erst recht darauf, das Projekt zu verwirklichen, ja, es reizte mich um so mehr, als ich bei vielen Schriftstellern als Motiv ihrer Absage die Scheu spürte, sich heute zu einer solchen Frage öffentlich und unter Verzicht auf dichterische Umschreibung zu äußern.

Einige der von mir in diesem Zusammenhang erhaltenen inoffiziellen Erklärungen dürften auch den Leser interessieren, sei es insofern sie sich besonders ungeniert auf die Titelfrage beziehen, sei es insofern sie das Verhältnis vieler Schriftsteller zum Publikum bzw. zur herrschenden öffentlichen Meinung mehr oder weniger demonstrieren. Besonders in dieser zweiten Hinsicht empfinde ich eine ganze Reihe der mir zugegangenen Briefe, deren anonyme, auszugsweise Veröffentlichung mir hoffentlich niemand als Indiskretion auslegen wird, als bemerkenswert.

Ebenso lakonisch wie eindeutig schien mir folgende Mitteilung: «Es ist mir leider nicht möglich, mich an Ihrer Umfrage zu beteiligen, da mich das Thema nicht interessiert, etwa so wenig wie die Frage: Was halten Sie von der Kaninchenzucht in Mietskasernen?» Auch eine andere Antwort ließ an Knappheit und Prägnanz nichts zu wünschen übrig. «Mein Beitrag wäre sowieso komisch ausgefallen», schrieb ein langwierig erkrankter Autor, «und Sie hätten ihn nie bringen können. Nämlich als Antwort auf die Frage nur das Wörtchen nichts und dann 4-5 leere Seiten.»

Ausführlicher äußerte sich der Schreiber folgender Zeilen:

«Ich gehöre der Kirche nicht mehr an. Mein Verhältnis zum Christentum ist alles andere als negativ, aber es ist so persönlich-kompliziert und nach einigen äußeren Erfahrungen mit den Pächtern des Christentums, die ich in meiner . . . zeit und kurz danach gemacht habe, auch so scheu und empfindlich geworden, daß es nicht an die Offentlichkeit gehört. Auf eine so gerade Frage wie die Ihre gehört eine gerade und selbstsichere Antwort. Zur Geradheit wäre ich wohl imstande, die Selbstsicherheit aber verbietet sich mir, denn noch bin ich aus dem Staunen nicht heraus. In einem Volke, meinte ich immer, das sich von seinen VergasungsLagern bislang durch nicht viel mehr als durch elf mit zunehmender Heiterkeit verbrachte Jahre distanziert hat, sollte das Christentum ein Problem sein. Das erspart man sich jedoch bei uns. Man macht es statt dessen zur Staatsinstanz. Ich bin nun leider so gemacht, daß ich nicht vergessen kann, daß auch die SS einmal zu unseren Staatsinstanzen gehörte. Woher soll ich aber meinen können, daß ich recht habe, wo doch alle Leute sagen, man müsse eben gerade vergessen können? Nein, ich bin kein tauglicher Beiträger für Ihr Buch.» Ich fand gerade das Gegenteil, konnte den Herrn aber trotz mehrmaligen Briefwechsels zu keiner öffentlichen Stellungnahme provozieren. Ähnlich erging es mir mit einem weiteren Schriftsteller, der mir schrieb: «Ich glaube, es ist besser für Sie (und schließlich auch für mich), wenn ich Ihre Umfrage für Ihr Sammelbändchen nicht beantworte. Ich bin für den Revolutionär Jesus, der die Händler aus dem Tempel getrieben hat, der für reine Menschenliebe am Kreuze gestorben ist, und für das Christentum, das die Urchristen..betätigt und gelebt haben. Für das politische Christentum in unserer Zeit, das mit der Lehre Jesus' wenig oder nicht mehr im Einklang ist, kann ein denkender Mensch, der den Menschen liebt, nicht sein.» Auch diese Überzeugung wäre ein vielversprechender Einstieg in das meiner Enquete zugrunde liegende Problem gewesen, doch wurde ein Beitrag nachdrücklich verweigert.

Die meisten der absagenden Autoren begründeten ihre Haltung mit Zeitmangel, einem wenig plausiblen Argument, wie mir scheint, da zunächst vier, im Bedarfsfall sogar mehr Monate zur Verfügung gestellt und überdies ja nur wenige Seiten erbeten worden waren. Folgende Nachricht eines in vorliegender Anthologie vertretenen Autors erachte ich in diesem Zusammenhang als aufschlußreich: «Unterwegs machte ich eine Erfahrung wegen Ihres Vorhabens, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte; sie bestätigt im Grunde die in meinem letzten Brief geäußerten Bedenken. Ich kam mit einem Kollegen zusammen, und er berichtete mir von Ihrem Plan und der Frage, die Sie für das Buch gestellt haben . . . Dieser Kollege sagte mir, daß er es ablehnen würde, sich dazu zu äußern, und erzählte das gleiche von einem anderen Schriftsteller. Als Begründung führte er ungefähr an: ,Wenn ich meine ehrliche Meinung sage, komme ich überall in Verruf, und das kann ich mir nicht leisten.`» Der Briefschreiber kommentiert: «Ich schätze diesen Kollegen sehr, und ich weiß auch, was er damit meint. Aber daß er auf gewisse Tendenzen in Deutschland Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, ist ein sehr schlechtes Zeichen für unsere Situation in der Literatur.»

Bezeichnender aber noch als das Verhalten vieler nicht christlich orientierter Dichter scheint mir die Reaktion der den Kirchen nahestehenden Schriftsteller. Von über zwanzig befragten, als christlich geltenden Autoren haben nur fünf ein religiöses Bekenntnis zu diesem Bändchen beigesteuert. Diese Herren übrigens sofort, ohne Zureden von meiner Seite, während ich mich um alle anderen, in der Absicht, die vom Verlag gewünschte möglichst ausgeglichene weltanschauliche Gegensatzrhythmik zu erzielen, vergeblich bemüht habe, um mehrere so anhaltend, daß dadurch die Herausgabe des Buches um ein halbes Jahr verzögert worden ist. Nur einer der fast zwanzig absagenden christlichen Autoren, ein evangelischer Gelehrter, bedauerte seine Haltung in einer - nach meinem Dafürhalten - akzeptablen Form. Er schrieb: «Eine Mitarbeit an Ihrem geplanten Sammelband: ,Was halten Sie vom Christentum?` zurückzuweisen, fällt mir schwer, weil es für jemanden, der mit Leib und Seele christlicher Theologe ist, eine unabweisbare Pflicht sein müßte, einer solchen Aufforderung Folge zu leisten.» Aber schon ein Kollege dieses Autors äußerte sich verwirrend konträr: «Vor fünfzig Jahren, als Harnack in Berlin die publice Vorlesung ,Vom Wesen des Christentums` hielt, war das das Ereignis von Berlin. Das wäre es nun heute wirklich nicht. Fast denke ich, man könnte das Thema anschlagen und keinen Hund hinterm Ofen damit herlocken . . . Nein, ich bin so mitten in ganz anderen Aufgaben drin, ich kann mich nicht herauslösen für eine solche diffizile Untersuchung.» Für mein Empfinden eine befremdende Haltung. Ich verstehe es, wenn ein dem Christentum gegenüber indifferenter Autor schreibt: «Ich bin mir über die Frage selbst so unschlüssig, daß ich mich außerstande sehe, sie in so konziser Form zu beantworten.» Aber daß ein theologisch gebildeter Schriftsteller nicht ohne lange «diffizile Untersuchung» auf einigen Seiten präzis sagen kann oder will, was er vom Christentum hält, das verstehe ich nicht.

Noch merkwürdiger aber hat es mich berührt, daß vier gleichfalls kirchengläubige Schriftsteller, von denen drei - zwei katholische und ein evangelischer - sich besonderer Popularität erfreuen, nach anfänglicher Zusage wieder abgeschrieben haben mit der Begründung, daß sie mit dem Thema nicht fertig geworden seien. Einer dieser Herren meinte zunächst: «Die Frage kommt mir absurd vor, nicht nur weil ich ein gläubiger Katholik bin, sondern weil nur sehr wenige Leute in Deutschland das Christentum kennen und daher auf Ihre Frage mit einem Mischmasch aus sozialen und moralischen Sentenzen antworten werden. Mir graut vor diesem christlichen Zweckgeschwätz aller Konfessionen, das wir seit zehn Jahren über uns ergehen lassen müssen. Wenn Sie meine traurige und erbitterte Stimme zu der Frage hören wollen, schreiben Sie mir bitte noch einmal.» Doch ein Vierteljahr später resignierte der Autor: «Ich habe es mir sauer werden lassen, aber es will mir mit dem besten Willen - trotz tagelanger Bemühungen - nicht gelingen, einen für Ihre Zwecke geeigneten Text zustande zu bringen. Das Problem ist, wie ich sehe, doch zu komplex. Ich kann die Scheu nicht überwinden.» Der andere Katholik machte das sehr bedenkenswerte Geständnis: «. . mein Zögern erklärt sich eher aus meiner sonderbaren Lage gegenüber meiner Leserschaft. Wollte ich nämlich rundheraus, also mit Verzicht auf jede dichterisch, gleichnishaft geformte Aussage, eingestehen, was ich vom Christentum halte, dann würde ich viele arglose Menschen irremachen.» Und der bekannte evangelische Schriftsteller, der ursprünglich gerne helfen wollte, meinen Plan zu verwirklichen, schrieb schließlich: «Ich bedaure lediglich, daß ich Ihnen diese Antwort nicht gleich gegeben habe. Doch damals war ich mir über die Unmöglichkeit, als Christ zu diesem Thema zu sprechen, noch nicht klar . . . Ich halte es aber für besser, klipp und klar zu sagen, daß ich an dein geplanten Werk nicht mitarbeiten kann, als Ihnen einen Beitrag zu geben, der um die Sache herumredet. Ich fürchte, Sie werden nur solche Beiträge erhalten.» Eine interessante Äußerung. Ein vielgelesener christlicher Autor befürchtet allen Ernstes, daß bei einer religiösen Befragung deutscher Schriftsteller nur Beiträge zustande kommen können, «die um die Sache herum» reden; so wie er selbst offenbar nur um sie herum reden könnte, wenn er Stellung nähme.

Ich möchte diesen knappen überblick mit dem Brief einer prominenten und auch schriftstellerisch tätigen Persönlichkeit beschließen, die mir mitteilen ließ, daß ihre Antwort auf meine Einladung «schroff ablehnend» sei. Als Gegner von sogenannten Rundfragen habe sich dieser Herr noch nie an einer solchen beteiligt. «Noch mehr aber fühlt sich . . . in seinem Wesen mißverstanden, wenn er in der ja unvermeidlichen technischen Anweisung findet, daß er 4-5 Schreibmaschinenseiten neben A und B und C und X und Y und Z über religiöse Dinge für ein als ,Schlager` gedachtes Buch schreiben soll. Was sich volkspädagogisch zu geben scheint, ist nach den Empfindungen des Herrn . . . ein Seminar für Taktverletzungen.» Ei sieh doch! Daß ein Herr, für dessen Reputation als Schriftsteller keiner seiner hier vertretenen Kollegen kompromittierend gewesen wäre, sich zu fein dünkt, «neben A und B und C und X und Y und Z über religiöse Dinge» zu schreiben, ja daß er eine Anthologie, deren Mitarbeiter, wie ich ihm geschrieben hatte, «bekannte deutsche Dichter und Schriftsteiler» sein würden, einfach als «Schlager» und «Seminar fürTaktverletzungen» abtut - sollte das ein Zeichen großen Taktes sein?
Ich habe die Gewißheit, daß man kaum einen der in diesem Band antwortenden Autoren der «Taktverletzungen» beschuldigen kann und daß, was viel wichtiger ist, bei den allerwenigsten der Eindruck entstehen könnte, sie hätten «um die Sache herum» geredet. Eine solche Mutmaßung erweist sich schon deshalb als falsch, weil die Mehrzahl der Mitarbeiter sich nicht zum Sprachrohr der gegenwärtig in Deutschland tonangebenden Gewalten gemacht, sondern im Gegenteil eine unverkennbare Frontstellung bezogen hat. Ich bedauere dieses Kräfteverhältnis nicht. Die deutschen Schriftsteller - und nicht gerade deren geringste Köpfe - haben in der zur Diskussion gestellten Frage öfter eine eher negative Meinung vertreten. Ich darf daran erinnern, daß bereits die Mehrzahl unserer Klassiker ausgesprochen nicht-kirchliche Menschen waren, nämlich Wieland, Lessing, Schiller und Goethe, und daß gerade die bedeutendsten deutschen Dichter der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts nicht nur nicht-kirchliche, sondern nichtchristliche Menschen gewesen sind, nämlich Robert Musil, Hermann Broch, Franz Kafka, Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Oskar Loerke, Stefan George, Rainer Maria Rilke, Gottfried Benn. Mit dieser Konstellation hängt es zusammen, daß man sich immer intensiver bemüht, große nicht-christliche Dichter als christliche auszugeben. Rilke etwa, dem man nicht nur eine kryptochristliche Frömmigkeit angedichtet, sondern sowohl eine katholische Grundströmung wie etwas Evangelisch-Protestantisches in seinem Werk «nachgewiesen» hat, so lange, bis selbst die im katholischen Herder-Verlag erscheinenden «Stimmen der Zeit» im vergangenen Jahr als «eines der wenigen sicheren Ergebnisse der Forschung» zugeben mußten, «daß Rilke von nichts weiter entfernt gewesen sein kann als von einem konfessionellen Christentum, ja, man muß sogar sagen vom Christentum überhaupt.» Auch Kafka wäre in diesem Zusammenhang ein eklatantes Beispiel. Ich will mit dem Hinweis auf die weltanschaulichen Kräfteverhältnisse in der deutschen Hochliteratur des 20. Jahrhunderts (und schon früher) nur sagen, daß ich die unbeabsichtigt zustande gekommenen Proportionen dieses Bändchens für berechtigt halte. Das politische Klima ist nicht immer identisch mit dem geistigen.

Allen Autoren danke ich aufrichtig für ihre Mitarbeit. Ich fühle mich ihnen um so mehr verpflichtet, als ich bei meiner Korrespondenz mit mehr als fünfzig Schriftstellern leider den unabweislichen Eindruck gewonnen habe, daß sich viele heute in Deutschland einfach scheuen, über das Christentum öffentlich auszusagen. In dieser Empfindung wurde ich auch insofern bestärkt, als von den befragten, im Inland lebenden Schriftstellern nur jeder fünfte, von den im Ausland lebenden aber fast jeder zweite sich hier beteiligt hat; kaum ein Zufall. Sowenig wie die Tatsache, daß von keinem jüdischen Autor ein Beitrag verweigert worden ist. In diesem Sinne wünsche ich manchem arischen deutschen Schriftsteller wenn schon nicht etwas jüdisches Blut, so doch wenigstens etwas jüdischen Mut.

Die Stellungnahmen selbst bedürfen im übrigen keiner weiteren Einführung und Kommentare meinerseits, sie sprechen für sich - in Ton, Tendenz und Darstellung ungemein verschiedenartige, sehr oft mutige, gescheite, fast samt und sonders eminent bedenkenswerte Dokumente geistiger Menschen unserer Sprache und unserer Zeit. Die Knappheit der Ausführungen erachte ich nicht als Nachteil. Denn hier wird, wie schon aus der Titelfrage hervorgeht, weniger eine Klärung des Problems angestrebt als eine klare Stellungnahme. Dem Leser aber, sofern er keine Antwort übergehen will, empfehle ich, sie in der nicht vom Zufall diktierten Folge zur Kenntnis zu nehmen.

Tretzendorf, August 1957, Karlheinz Deschner

 

Was halten Sie
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