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Leseprobe / Anmerkung des Autors zur Neubearbeitung

 

Zur Neubearbeitung

Fast ein Vierteljahrhundert nach seinem Erscheinen kommt «Kitsch, Konvention und Kunst» in neuer Gestalt - und niemand bedauert wie ich, daß es nicht gleich so erschien.

Warum? Wurde so viel geändert, dazugebracht, getilgt? Nein. Und ja.

Bei allen Werturteilen über die Autoren blieb es; gemäß einer mühelos bewahrten Überzeugung (obwohl Überzeugungen oft eine schlimme Sache sind!) und ihrer Bestätigung durch die Zeit. Gewiß kannten die wirkliche literarische Valuta schon damals viele. Nur sagten sie es nicht; erst recht nicht schrieben sie's! Doch manchen ärgerte das dann. Und mancher ließ es, wie in solchen Fällen üblich, fühlen.

Nicht ich, behauptete Walter Jens, «sondern ein besonnener Gelehrter hätte vor Jahren die communis opinio ausdrücken sollen, daß Wiecherts Werk nicht große Literatur sei; auf diese Weise hätte man zugleich dem Publikum die Marter erspart, Wiechert, Bergengruen, Hausmann und Hesse in einem Topf schmoren zu sehen. Denn so verständlich das Mißbehagen auch sein mag, das den Kritiker beim Anblick mancher >Gemeinde< - Dichter befällt: Hesse ist nun einmal nicht Pleyer, und der Autor des >Knulp< will vom Verfasser des Romans >Narziß und Goldmund< behutsam getrennt sein. Bergengruen hat mit Hausmann wenig gemein; der >Tod von Revak wiederum, ein Meisterwerk, dürfte nie mit einer sentimentalen Etüde, dem >Spanischen Rosenstock<, auf eine Ebene gestellt werden. Kurzum, es gilt, jenseits von Liebe und Haß, sorgsam zu modifizieren, nicht immer nur die Höhe, sondern auch die Tiefe als Maßstab zu nehmen und die sprachliche Analyse, gnadenlos und heiter, voranzutreiben.»

Vier Sätze des Walter Jens - und alles schief darin, entstellt oder falsch! (Die folgende Polemik entstammt, formal leicht verändert, meinem Aufsatz über «Walter Jens», in: «Wer lehrt an deutschen Universitäten?», München 1968)

1. War es 1957, beim Erscheinen von «Kitsch, Konvention und Kunst», worauf er anspielt, wirklich schon «die communis opinio», daß Wiecherts Werk nicht große Literatur sei, warum hätte es ein «besonnener Gelehrter» noch sagen sollen? (Jens grämt sich wohl, daß nicht er aussprach, was zwar seinerzeit noch Entrüstungsstürme erregte, heute aber nicht mehr bestritten wird? Er grämt sich wohl, daß nicht ihm Hans Henny Jahnn attestierte: > Sie haben mich wie kein anderer weithin bekannt gemacht . . .?» Denn das können ihm doch nur Mediokritäten und Stümper ins Stammbuch schreiben.)

2. Ging es gar nicht, wie er glauben macht, um den Nachweis, Wiecherts Werk sei keine große Literatur: Wiechert wird von mir bloß ein einziges Mal genannt.

3. Ist es durchaus keine «Marter», Wiechert, Hausmann, Bergengruen und Hesse ungefähr gleich gewertet zu sehen, denn sehr differiert ihr Niveau nicht. (Jens selber beklagt, daß die ersten drei bei Krell/Fiedler mehr Beachtung finden, als viel bedeutendere Zeitgenossen.)

4. Da ich, wie Wiechert, auch Hausmann nur einmal nenne, bleiben von den vermeintlich vier bei mir Schmorenden zwei. Und auch zwischen ihnen, Bergengruen und Hesse, unterscheide ich strikt, schon auf der dritten Seite, und zwar genau so, wie zu unterscheiden ist.

5. Behaupte ich keinesfalls, wie Jens' Leser wieder glauben müssen, Hesse sei Pleyer: Pleyer kommt bei mir gar nicht vor.

6. Beurteile ich auch «Knulp» und «Narziß und Goldmund», wie Jens weiter suggeriert, nicht als paritätisch: ich gehe auf den «Knulp» gar nicht ein. Meinem Verriß des «Narziß und Goldmund» aber, eines von Thomas Mann und Curtius noch hoch gepriesenen Romans, widerspricht auch Jens nicht, so wenig wie meiner Disqualifikation von Hesses Lyrik.

7. Fiele es mir freilich nie ein, den Autor des «Knulp» vom Verfasser des «Narziß und Goldmund» zu trennen, auch nicht «behutsam», wie Jens, der besonnene, fordert, als hätte er nicht den Lehrstuhl für Rhetorik in Tübingen, sondern für Anatomie.

8. Behaupte ich nicht, Bergengruen habe mit Hausmann viel «gemein», sondern beide seien Epigonen; was stimmt. Wer bestreitet's denn noch?

9. Placiere ich nicht, wie die von Jens Düpierten wieder denken müssen, den «Tod von Reval» neben den «Spanischen Rosenstock», vielmehr erwähne ich beide nicht.

10. Ein Kritiker, der, wie Jens will, jenseits von Liebe und Haß kritisiert, taugt genausoviel wie ein Mensch, der jenseits von Liebe und Haß lebt, nämlich gar nichts oder genausoviel wie der Kritiker Walter Jens.

11. Wie dieser das, in manchem Buch, fast Satz für Satz beweist, so auch hier, wo er Kritik erst «jenseits von Liebe und Haß» verlangt, dann aber, im selben Satz noch, «gnadenlos» und «heiter», was wie die Faust aufs Auge paßt, zumal er, anderwärts, neben «Elogen» «Vernichtungsstreiche» wünscht. Immerhin finden meine Leser - nicht nur hier - gnadenlose und heitere Kritik. Doch was finden seine - abgesehen von Arglist, Unlogik, Opportunismus und jener Heiterkeit, die er unfreiwillig erregt? Von jener großspurigen Rhetorik auch, die sich sogar an Nietzsche vergreift?

Vier Sätze des Walter Jens - und alles unstichhaltig, unlauter, dolos: von einem, der fortwährend «Ehrlichkeit» und «Glaubwürdigkeit» postuliert, «Solidität» , «philologisch?bedachtsame Kontrolle», «unbestechliches Beklopfen» (!), «sokratische Würde», «sokratisch?redliches ... Denken» und derlei mehr.

Freilich gab es neben jenen, die alles auch damals schon wußten und viel besonnener natürlich hätten sagen können, noch eine Menge, die große Mehrheit sicher, die auf die Barrikaden sprang, in die Bresche, Bergengruen und Carossa fast wie ihr Heiligstes verteidigend - heute beinah vergessene Schlachtopfer schon.

Auch Hesses Ruhm ist weiter verblaßt; eine flüchtige «Renaissance», dort vor allem, wo man nicht Deutsch kann, offensichtlich außerliterarisch begründet, worum es mir, erklärtermaßen, weder ging noch geht. Auch hatte ich selber Hesse, von seinen Verteidigern stets übersehen, mit einem «kleinen Teil seines Werkes» der Kunst zugezählt (hier heißt es mit «sehr kleinen Teilen» noch; trotz «Renaissance» - auch Courths-Mahler hatte eine).

Was aber die von mir Gerühmten angeht, Musil, Jahnn, Broch, kennt sie jetzt unser lesendes Publikum zweifellos besser - natürlich nicht durch mich; aber auch nicht ganz ohne mich. Populär werden sie, anspruchsvoll, wie sie sind, nie.

Robert Musil, zuletzt vom Gnadenbrot eines Schweizer Pfarrers lebend, genießt Weltruhm. Jahnn wird heute wenigstens mehr beachtet als einst. Seine Werke verlegten Willi Weismann, die Europäische Verlagsanstalt, der Heinrich-Heine-Verlag; es gibt Auswahlbände nun, Taschenbücher, endlich bemerkenswerte Kommentare und Monographien, besonders von Walter Muschg, Rolf Burmeister, Hans Wolffheim. Ähnlich steht es mit Broch.

Was also zwang mich, dies Bändchen zu ändern? Ein doppelter Grund.

Einmal meine Einschätzung des Kitsches. In schlimmer Verkennung hielt ich Kitsch für rein ästhetisch bedingt, lernte ihn aber, beschämend spät, als ethisches Phänomen, als etwas Hochpolitisches begreifen. Deshalb erfolgt hier ein entschiedener Widerruf; der erste meines Lebens.

Der zweite Eingriff ist formaler Natur. Unter Wahrung seiner Eigenart, habe ich den ganzen Diskurs sprachlich entrümpelt, weil es nötig war. Was warf man einst seinetwegen - zu Unrecht meist mir nicht an den Kopf; den oft so unbeholfenen Stil, bezeichnend genug, beinahe nie.

Aus Vorträgen entstanden, brachte ich das Ganze - formal! allzu jugendlich leichtsinnig zu Buch; scheinbar beschwingt zwar, doch ungeübt, umständlich, floskelhaft gar, und glaubte noch, gut geschrieben zu haben. Optimal freilich ist auch die Neufassung nicht; ja, vermutlich, altes Überarbeitungsübel, zuweilen verschlimmbessert; insgesamt aber wohltuend entbreit und gestrafft. Ich schmeichle mir - bloß Lumpe sind, sagt Goethe, bescheiden -, so mancher könnte, beide Texte vergleichend, mehr lernen als durch die Textanalysen selbst. Natürlich hat keiner das nötig; kann schreiben doch jeder, nicht wahr! Nur ich konnte es, «Kitsch, Konvention und Kunst» verfassend, mit dreiunddreißig Jahren sicher nicht; und kanns auch heute nicht, wie ich möchte, an meinem sechsundfünfzigsten Geburtstag, nebenbei - obwohl ich seither, leider!, fast nichts tat als Lesen und Schreiben. Doch etwas besser geht es nun.

Viel Vergnügen!

Karlhein Deschner

 

Kitsch Konvention und Kunst

Leseprobe

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