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Wie eine Liebesreligion zur, Herrschaftsideologie wurde

Provozierend, unbequem, parteilich, faltenreich: Karlheinz Deschners großangelegte «Kriminalgeschichte des Christentums»

Nein ausgewogen wird man diesen Autor nicht nennen können vielmehr parteiisch und einseitig. Die Gläubigen werden sich bestenfalls ungläubig die Augen reiben, die Fundamentalisten unter ihnen würden wohl am liebsten die Zensur bemühen: Aber auch die historisch-objektiveren Temperamente, die sich an Tacitus' Maxime «sine ira et studio» orientieren werden hier kaum ihr Wissenschaftsideal realisiert sehen. Indessen werden sie sich mit Heinrich von Treitschke daran erinnern lassen müssen - Karlheinz Deschner vermerkt das mit verständlicher Befriedigung - daß niemand dieses Objektivitätspostulat weniger befolgt hat als sein Urheber. Und auch die anderen Gegner, auf die Deschner ganz ohne Frage rechnen kann sind selbstverständlich nicht weniger Partei. Es fragt sich nur, was die unvermeidliche Parteilichkeit und Einseitigkeit jeweils trifft und wen sie betrifft.

«Kriminalgeschichte des Christentums» nennt sich dieses bisher schon auf zwei Bände gediehene, auf etliche weitere Bände geplante opus maximum: im Gesamtkonzept die wohl umfassendste kritische Geschichte des Christentums die es gibt. Dieser Titel ist durchaus wörtlich gemeint: Es geht Deschner ohne Wenn und Aber um eine «Verbrechensgeschichte» des Christentums - der Außentitel bietet hier in der Formulierung, wohl aus verlegerischen Gründen noch mildernde Umstände, die das Buch selber keineswegs gewahrt. Und «Kriminalgeschichte» ist darüber hinaus auch im Sinne der kriminalistischen Aufspürung, Nachweisung und Entlarvung der Taten und der Täter zu verstehen.

In der Tat fallen die Heiligendenkmäler, die der Kirchenlehrer, der dog-matischen Patriarchen, der früheren Päste, der allerchristlichsten Kaiser, gleich scharenweise: Ambrosius, Augustinus, Athanasius Basilius Clemens, Eusebios Hieronymus, Irenäus, Laktanz . . , Was sich von den Ursprüngen im Alten Testament bis zum Tod des hl. Augustinus (Thema des ersten, bereits in der fünften Auflage vorliegenden. Bandes), von den katholischen «Kinderkaisern» bis zur Ausrottung der arianischen Wandalen und Ostgoten unter Justinian I. Thema des zweiten Bandes zeigt, ist eine, triefende Blutspur, die an Liebe und Barmherzigkeit der christlichen Lehre auch nicht mehr von ferne erinnert; statt der verheißenden Heilsgeschichte die eines monströsen Unheils.

Das Wort «Christenverfolgung» erhält.in diesem Zusammenhang einen peinlich ungewohnten Sinn: Aus den Opfern werden die Täter. Ein Beispiel für die von Deschner beschriebenen «gottgewollten Ketzerabschlachtungen und Folterkunststücke» die Ermordung der spätantiken Philosophin und Mathematikerin Hypatia, der schon Charles Kingsley und vor allem Fritz Mauthner eindrucksvolle literarische Denkmäler gesetzt haben, in Alexandria im Jahre 415 ein brutales Mordstück, bei dem ein vom hl. Kyrillos inspirierter Klerikermob die unwillkommene Denkerin in eine Kirche schleppt, bis auf die Haut auszieht und dann mit Glasscherben buchstäblich zerfetzt bevor der Leichnam - bei dieser ersten Hexenverfolgung der Geschichte - öffentlich verbrannt wird.

Folgenreicher und auch für heutige Diskussionen prekärer: die Wandlung der einstigen Liebesreligion zu einer militanten Staats- und Herrschaftsideologie. Hatte das Christentum der ersten drei Jahrhunderte in Übereinstimmung mit den neutestamentlichen Tötungsverboten Gewaltlosigkeit geboten und den Kriegsdienst einschließlich jedes Fahneneides untersagt, ja, mit Exkommunikation bestraft, wandelt sich unter dem hl. Konstantin mit der Synode von Arelate (Arles, 314) «die Kirche der Pazifisten zur Kirche der Feldpfaffen», wie Deschner hart formuliert. Die jähe Wandtung des Kirchenvaters Laktanz ist ein besonders drastisches Beispiel dafür, der hl. Augustinius kaum minder. Und das berühmte, immer wieder gedankenlos und affirmativ nacherzählte konstantinische «In diesem Zeichen wirst du siegen!» zeigt auf wahrhaft traurige Weise, wie man in einem Zeichen gewinnen und zugleich alles an ihm verraten kann: Welche Verkehrung! Weil das Christentum durch Kriege gesiegt, erblickte man in ihm die 'wahre' Religion. Ein Glaube der Liebe legitimiert sich durch Schlachtenglück, vieltausendfachen Mord! Welche Perversion. Und kein Bischof, kein Papst, kein Kirchenvater hat diese Perversion gegeißelt!»

Gegen Desehners schlimme Faktensammlung wird historisch nur schwer zu argumentieren sein. Mag sein daß der Autor in Zweifelsfällen allemal gegen die Angeklagten entscheidet insgesamt gesamt ist dieses Riesenwerk dessen
Anfänge auf die -fünfziger Jahre zurückgehen, aber zweifellos peinlich gründlich und mit einem gelehrsamen Fleiß ohnegleichen recherchiert. Fast 2000 Sekundärtitel, 130 Seiten kontrollierbarer Quellenangaben und Anmerkungen, dazu ein benutzerfreundlich detailliertes Register, das dieses Verbrechenskompendium zu einem wahrhaft erschlagenden Nachschlagewerk macht - das alles sprieht eine deutliche Sprache: Der Autor weiß bei aller Anerkennung, die er gefunden hat (1988 erhielt er für sein kompromißloses literarisches Werk den Arno-Schmidt-Preis) daß man ihm nicht gerne, jedenfalls nicht freiwillig glauben wird.

Allerdings macht auch er selber aus seiner Parteilichkeit keinen Hehl. Im Gegenteil: Er kehrt sie bewußt und polemisch hervor. Er weiß daß seiner Verbrechensgeschichte vieles fehlt, was auch zur Geschichte des Christentums gehört: Man braucht bloß an die Christenverfolgungen im altvertrauten, im Opfer-Sinn zu erinnern. Nur hat Deschner wohl damit rechtm daß wir an positiven, apologetischen Kirchengeschichten keinen Mangel leiden. Im übrigen legt er größten Wert darauf, daß Einseitigkeit und Objektivität einander nicht notwendigerweise ausschließen «Ich schreibe aus 'Feindschaft'! Denn die Geschichte derer, die ich beschreibe, hat mich zu ihrem Feind gemacht. Und nicht weil ich nicht, was auch wahr ist, geschrieben habe, bin ich widerlegt. Widerlegt bin ich nur, wenn falsch ist, was ich schrieb,» Das ist wohl unwiderleglich. Nur im bezug auf die autobiographischen herkunfts- und erziehungsbedingten Hintergründe dieser Feindschaft hatte man sich noch mehr Offenherzigkeit gewünscht; Deschner läßt es hier meist bei Andeutungen bewenden.

Allzu leidenschaftliche «Apostaten», «Abständige», «Abtrünnige», wie die kanonische Terminologie rstaunlicherweise immer noch jene Anders-, jene Umdenkenden nennt, müssen freilich auch für besonders konversions- oder revisionsgefährdet gelten. Allem Anschein zum Trotz gibt Deschner dieser Vermutung öfters Nahrung. Wenn er zum Beispiel als Anstoß für seine Verbrechensgeschichte eine jähe Erkenntnis aus den fünfziger Jahren nennt bei der sich ihm enthüllte: «Gott geht in den Schuhen des Teufels», so ist das immer noch oder schon wieder ein bloß umgedrehtes theologisches Inspirationsmodell. So tut man besser daran, hier weder vom Heiligen noch von Gott noch vom Teufel zu sprechen, sondern von Religionen und Menschen und Gesellschaften die mehr oder weniger, geschichtlich meist weniger, menschlich sind.

Das heißt mit Deschner einerseits - und dann liegt die prinzipielle Bedeutung seines Ansatzes -, daß man sich nicht in die subtile Unterscheidung von kirchlicher und weltlicher, von Profaner und von Heilsgeschichte retten kann: Die Geschichte die er erzählt, ist an schlimmster Weltlichkeit wahrhaftig nicht zu überbieten. Und es ist wohl auch nicht zu bestreiten daß im weltreligiösen Maßstab die dogmatischen Wahrheitsansprüche des Christentums es intoleranter gemacht haben, als es etwa der klassische Buddhismus ist.

Andererseits ist Deschners totale Anklage, sein Anspruck, eine Verbrechensgeschichte des Christentums, nicht nur der Kirche oder der Christenheit zu schreiben doch zu differenzieren. Sein eigener Maßstab orientiert sich ausdrücklich über «die generellen Begriffe des Kriminellen, Humanen» hinaus «an den zentralen ethischen Gedanken der Synoptiker, am christlichen Selbstverständnis als Religion der Frohen Botschaft der Liebe des Friedens». Und gerade dort, wo er mit denkbar größtem Recht die Perversion des christlichen Pazifismus zur militanten Staatskirchenideologie, die des Liebeskommunismus zur Herrschaftspolitik diagnostiziert, bezieht er sich auf jene frühchristlichen Autoren, denen er mit demselben Recht in anderen Zusammenhängen ihre widerchristliche Unmenschlichkeit vorwirft nimmt er einen anderen Sinn von Christentum in Anspruch, der es nicht zuläßt, schlichtweg, nie Deschner es tut, von seinem «Verbrechenscharakter» zusprechen, mit dem es für alle Zukunft weitergehen müsse wie in der Vergangenheit.

LUDGER LÜTKEHAUS, in: Badische Zeitung, 29.11.1988

 

Pressestimmen

Badische Zeitung
29.11.1988

 

 

 

 

     
           
 

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