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Pressestimmen

 

Heinrich Werner, Frankfurter Rundschau, 12. Januar 1991

Unzeitgemäß Zeitgemäßes

Deschners Abrechnung mit der Alten Kirche / Kriminalgeschichte Band 3

Während die Kirche den Zerfall des atheistischen Sozialismus als ihre Wiedergeburt und Selbstbestätigung feiert, sitzt Karlheinz Deschner über sie zu Gericht. Der dritte Band seiner «Kriminalgeschichte des Christentums», der systematisch die Zeit der Alten Kirche durchleuchtet, ist in diesem «historischen Jahr» 1990 erschienen.

Ob dieser schwergewichtige Band ? das gilt für Umfang wie Inhalt ? zu einem Renner im literarischen Weihnachtsgeschäft wurde, erscheint fraglich. Der Rowohlt Verlag wird sich jedoch kaum ohne entsprechende Marktanalyse des Mammutwerkes angenommen haben. (Die «Kriminalgeschichte des Christentums» ist auf zehn Bände konzipiert; die Antike ist mit dem vorliegenden Band abgeschlossen, dem Mittelalter sind drei und weitere vier Bände der Neuzeit vorbehalten.)

Das Interesse an einer Generalabrechnung mit dem Christentum ist offensichtlich gewachsen, und Deschner ist einer der Hauptankläger ? mit durchaus fundierten Argumenten. Zumal Theologen (der Rezensent ist selbst einer) sollten sich hüten, allzu eilfertig und überheblich ? weil sie sich im Besitz der «eigentlichen» Wahrheit glauben - Deschner in die Rolle des Außenseiters drängen und seine Arbeit zum «Machwerk» erklären zu wollen. Zu solcher Arroganz besteht kein Anlaß; denn es wird kaum möglich sein, die zusammengetragenen Fakten zu leugnen.
Natürlich muß in Rechnung gestellt werden, daß wir es nicht mit einem Zukunftshistoriker zu tun haben, der sich über alle Fronten erheben und ? keinem wohl und keinem weh! ? nichts als die «objektive» Wahrheit ans Tageslicht bringen will. Deschners Parteinahme gegen den christlichen Glauben ist offengelegt, er steht zu seiner Polemik und zu seiner Hoffnung: «Aber wie einst das Heidentum, wird einmal auch das Christentum zu Ende vegetieren» (S. 590, am Ende seiner fulminanten Anklagerede) Und die folgende «Nachbemerkung» gipfelt in der These, daß viele Menschen «nach Preisgabe ihres christlichen Glaubens sehr viel besser (leben) können als vorher, daß sie viel freier leben, ja, daß sie erst zu leben beginnen ? und kaum ,unmoralischer' als die Christen». (S. 531).

Jeder, der das Buch auch nur durchblättert, muß dem Autor zumindest unwahrscheinlichen Fleiß attestieren. Die Arbeit erschlägt nahezu mit ihrem Reichtum an umfassend recherchierten Fakten und Querverbindungen. Die Anmerkungen, fast ausschließlich Quellennachweise, haben einen Umfang von fünfzig Seiten, und die Auflistung der benutzten Sekundärliteratur nimmt fast dreißig Seiten in Anspruch. Dennoch: die zwanzigjährige Arbeit des Materialsammelns hat in der Substanz nichts Neues erbracht. Es waren ja christliche Theologen, die in jahrhundertelanger kritischer Forschung die Entstehungsgeschichte der biblischen Texte samt ihren Verfälschungen, Einschüben, Textvarianten usw. erarbeitet und die komplizierten Vorgänge in der Alten Kirche, einschließlich ihrer «Ketzergeschichte», mehr oder weniger vorurteilsfrei aufgedeckt und dargestellt haben.

Ob dies allerdings in das Bewußtsein der Gemeindechristen (zu schweigen von den Feiertagschristen) eingegangen. ist, bleibt freilich fraglich. Es wäre zu wünschen, daß um Deschners Arbeit eine Auseinandersetzung entbrennt, die Christen zwingen würde, sich selbst Rechenschaft darüber abzulegen, woher sie kommen und wie sie trotz dieser Vergangenheit heute ihren Glauben leben können.

Einer polemisch konzipierten Schrift unterläuft natürlich leicht der Fehler, daß sie mit Überspitzungen arbeitet, die den Angegriffenen die Verteidigung erleichtert. So bei Deschners Behauptung: «Mehr als die Hälfte aller Bücher des Neuen Testaments sind unecht, das heißt entweder ganz gefälscht oder sie stehen unter einem falschen Namen» (S. 109). Der Begriff «Fälschung» ist hier fehl am Platz. Die neutestamentliche Wissenschaft hat den komplizierten Prozeß der Herausbildung der Schriftensammlung, die dann Neues Testament genannt wurde; längst offengelegt: Darin findet der Glaube der christlichen Gemeinde, wie er sich in ihren ersten Jahrzehnten gefüllt hat, seinen Niederschlag. Für die Christen in der Periode der Kirchenwerdung trat die Frage nach der Verfasserschaft der verschiedenen Schriften völlig hinter der nach ihrem Inhalt zurück. Das trifft im übrigen auf den Kanon des Alten Testaments ? auch in bezug darauf arbeitet Deschner mit dem Begriff «Fälschung» ? ebenso zu. Insofern geht die Meinung, daß eine solche Argumentation «eine Berufung auf den christlichen Glauben historisch ad absurdum». führt (S. 591), an der Sache vorbei.

Dabei weiß Deschner ser wohl, was der wirkliche Skandal in der «Krimlnalgeschichte des Christentums» ist: daß nämlich die Alte Kirche «aus der Naherwartung Jesu die Fernerwartung aus seinem Reich?Gottes?Gedanken den Kirche-Gedanken» (S. 73) gemacht hat. Und er weiß auch diesen Reich?Gottes?Gedanken zu konkretisieren als «eine Art sozialistischen Utopismus ..., eine Glaubensvorstellung, die nicht nur auf die Massen, sondern auch auf einige Bischöfe und Kirchenväter im Frühchristentum eine gewaltige Suggestivkraft ausgeübt und die Mission in gar nicht zu überschätzender Weise begünstig hatte» (S. 434). Aber: «Nur allzubald verhielt sich die Christenheit auch in sozialer Hinsicht wie alle Welt.» (S. 437)

Diesen Prozeß der Anpassung an die Sklavenhaltergesellschaft der Antike beschreibt Deschner faktenreich und faszinierend: Die alte Gesellschaft schlüpft unter dem Zwang ihrer ideologischen Krise in den Mantel der neuen Religion, macht sie sich untertan und bedient sich ihrer als Herrschaftsinstrument. Und das geschieht mit äußerst tatkräftiger Unterstützung aus der Kirche heraus, in der diejenigen siegreich wurden, die ihrerseits die Anpassung betrieben und andere christliche Strömungen als «Ketzerei» ausmerzten ? sobald es ging, im Bündnis mit den «christlichen» Kaisern. Dazu diente teils die Übernahme heidnischer Bräuche (bei Deschner abgehandelt in den Kapiteln «Wunder? und Reliquienbetrug» und «Wallfahrtsschwindel»), teils die Unterdrückung antiker Bildung (in den Kapiteln «Verdummung» und «Vernichtung»), teils die religiöse Reinwaschung unmenschlicher sozialer Praxis.

Man wird Deschner kaum widersprechen können, wenn er die Kirche anklagt, zum Himmel schreiendes Unrecht beispielsweise mit der Vertröstung der Sklaven auf ihren Lohn im Himmel (falls sie ihr irdisches Los willig hinnehmen) und mit der Anerkennung des Eigentumsrechts an Menschen nicht nur hingenommen zuhaben. Vielmehr: «So hat sie eine Änderung der rechtlichen Stellung der Sklaven von Jahrhundert zu Jahrhundert verhindert, hat sie die Sklaverei nicht bekämpft, sonden gefestigt.» Völlig zu Recht kommt Deschner sogar zu dem Schluß: «Die im 4. Jahrhundert entstehende neue christliche Gesellschaft unterscheidet sich stark von der offeneren, sozial differenzierten, liberal ?kapitalistischen der Kaiserzeit.» (S. 528)

Viele werden begrüßen, daß Deschner ihrer Entscheidung gegen den christlichen Glauben mit diesem Band ein historisches Fundament unterlegt. Christen wird es schwerfallen, sich emotionslos mit dem Buch auseinanderzusetzen; denn vieles, was ihnen bisher fraglos war, wird nicht nur obenhin in Frage gestellt. Verklärten Denkmälern, wie zum Beispiel Athanasius, Augustin, Ambrosius, wird der Glanz genommen, und der «Sieg des Christentums» im 4. Jahrhundert stellt sich als Pyrrhussieg dar, in dessen Folge die Kirche einen Weg gegangen ist, der mit der Botschaft Jesu nicht mehr in Einklang gebracht werden kann.

Man könnte Deschner den Vorwurf machen, daß er die Gegentendenzen, die in der Geschichte der Kirche immer ? wenn auch mehr oder wenig gewaltsam unterdrückt ? nebenher gingen, nur im Seitenblick streift. Aber das ist nicht seine Sache. Karlheinz Deschner begründet hier vielmehr mit großer Sachkenntnis seine Abwendung vom christlichen Glauben ? und das ist auch aus christlicher Sicht legitim. Es ist Sache der Christen, in Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Material sich mit allem Ernst und Nachdruck der Frage zu stellen, welche Konsequenzen sie für ihre Kirche daraus zu ziehen haben. Ich verstehe das Buch als Ruf zur Buße. Der Ruf korrunt aus dem Mund eines Ungläugiben, doch das spricht nicht gegen ihn.

HEINRICH WERNER

 

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Kriminalgeschichte
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Band 3
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